Unfallrisiko junger Fahrer verringern: Es ist höchste Zeit zu handeln

Artikel aus Newsletter Ausgabe 6, November 2009

Prof. Dr.-Ing. Klaus LangwiederBild: Prof. Dr.-Ing. Klaus Langwieder

Junge Fahrer sind seit jeher die zentrale Problemgruppe im Straßenverkehr. 20 Prozent aller bei Unfällen in Deutschland Getöteten gehören der Altersgruppe zwischen 18 - 24 Jahren an. Junge Fahrer haben ein dreifach höheres Unfallrisiko als die anderen Altersgruppen. Je schwerer die Unfälle, umso höher der Anteil junger Fahrer.

Nicht genug damit: Auf 10 Unfälle von getöteten jungen Fahrern kommen 13 Unfalltote in gegnerischen Fahrzeugen. Bei Kollisionen mit jungen Fahrern sind die Folgen für die anderen Verkehrsteilnehmer noch höher als die ohnehin schon drastischen Folgen für die jungen Fahrer selbst. Hochgefährliche Unfallabläufe wie Schleudern, Abkommen von der Fahrbahn, Kollisionen mit Bäumen sind typisch für junge Fahrer. Ihre hohe Unfallbeteiligung entsteht vor allem durch geringe Eigenerfahrung und durch jugend-typische Verhaltensweisen: Nichterkennen der Risiken, Unterschätzen der Gefahr und Überschätzen der Kontrolle über das Fahrzeug.

Risikominderung ist möglich

Neue Studien beweisen: Das Risiko junger Fahrer muss nicht als unvermeidlich hingenommen werden. Eine aktuelle OECD-Studie ergab, dass eine Erhöhung der Sicherheitsvorschriften den Führerscheinneulingen zugute kommt und zu weniger Unfällen führt.

Der Modellversuch Begleitetes Fahren mit 17 (BF 17), der jungen Fahrern in Deutschland erstmalig die Möglichkeit eines verlängerten Lernens und einer Selbstlernphase unter definierten Schutzkriterien bietet, ergab ermutigende Zwischenergebnisse: rund 20 – 25% geringere Unfall- und Delikthäufigkeit. Teilnehmer am BF 17, die mehr als 6 Monate begleitet gefahren sind, haben 57% weniger Unfälle durch Fehlverhalten verursacht als jene, die weniger als 6 Monate in Begleitung gefahren sind. Im Jahr 2010 werden dazu Endberichte vorliegen – doch der Trend ist schon jetzt eindeutig und zeigt die Notwendigkeit einer integrierten Selbsterfahrungszeit in einem verlängerten Lernprozess unter begleitenden Schutzkriterien.

Auch in Österreich wurde durch die Mehrphasenausbildung ein Rückgang der Unfälle mit Personenschaden bei den 18-Jährigen um 28% verzeichnet. Die Zahl der Alleinunfälle ist bei den 18- jährigen männlichen Lenkern um 34%, bei den weiblichen um 13% zurückgegangen. Positive Ergebnisse sind auch durch die Mehrphasenausbildung in der Schweiz zu erwarten.

Professionelle Fahrausbildung ist unverzichtbar

Durch eine weiter optimierte Fahrausbildung kann und muss das Unfallrisiko der Fahranfänger gesenkt werden. Die Komplexität des heutigen Verkehrsgeschehens zeigt, dass eine umfassende professionelle Fahrausbildung, wie sie heute in Deutschland praktiziert wird, unverzichtbar ist; an diese grundlegende Ausbildung muss sich aber eine definierte Selbstlernphase unter kontrollierten Schutzkriterien anschließen. Die Erteilung der Fahrerlaubnis macht niemanden zum perfekten Fahrer. Der Anfänger im Straßenverkehr – ebenso wie jener im Beruf – ist immer noch ein Lernender im praktischen Alltag. Vieles stürmt auf die Fahranfänger ein. Neben den Herausforderungen des eigenverantwortlichen Fahrens müssen sie sich auch mit den Eigenschaften ihrer ersten Fahrzeuge vertraut machen: Das Durchschnittsalter der Pkw junger Fahrer beträgt ca. 11 Jahre. In Zukunft müssen sie sich auch auf die Veränderungen des Fahrens durch die vielfältigen Fahrerassistenzsysteme einstellen. Den richtigen Umgang mit älteren Fahrzeugen einerseits, aber auch mit modernen Assistenzsystemen andererseits kann man erst „erfahren“, wenn bereits eigene Fahrerfahrung vorliegt, also nach Erhalt der Fahrerlaubnis. Das erfordert eine aktive und professionelle Lernphase auch nach erfolgreichem Abschluss der Führerscheinprüfung.

Der Modellversuch BF 17 zeigt dazu einen Weg auf. Damit werden jedoch auch in Zukunft nur ca. 40% aller jungen Fahrer erreichbar sein. Verbesserte Sicherheit muss aber allen Fahranfängern zugutekommen, auch jenen, die sich nicht am BF 17 beteiligen können.

Definierte Praxisphase mit Schutzkriterien

Nach Vorliegen der BASt-Ergebnisse über die Modellversuche „BF 17“ und „Zweiphasige Fahrausbildung“ im Jahr 2010 muss unverzüglich das Konzept einer optimierten Fahrausbildung erarbeitet werden, das obligatorisch für alle Fahranfänger gilt, gleichgültig ob sie am BF 17 teilnehmen oder nicht. Die Deutsche Fahrlehrer-Akademie hat hierzu in den letzten Jahren einen Konzeptvorschlag entwickelt, der nach der Fahrerlaubnisprüfung eine definierte Praxisphase mit Schutzkriterien und eine abschließende kurze professionelle Schulungseinheit, aufbauend auf den gewonnenen Eigenerfahrungen, umfasst. Durch optimale Integration der Ausbildungsinhalte in die verschiedenen Ausbildungsabschnitte kann dieses Konzept trotz verlängerter Lernzeit weitgehend kostenneutral gegenüber der heutigen Ausbildung gestaltet werden. Dieses Konzept wird zurzeit mit anderen Organisationen der Verkehrssicherheit diskutiert und steht 2010 allen zur Verfügung, wenn nach Ablauf der Modellversuche die Zeit zum Handeln gekommen ist.

Obligatorium für breit gefächerte Sicherheit

Wenn sich bei der abschließenden Evaluation die positiven Erfahrungen bestätigen, darf es nicht der freiwilligen Entscheidung des einzelnen Fahranfängers überlassen bleiben, ob er den Sicherheitsgewinn mit erweiterter Lernphase wählt. Dann hat der Staat die soziale Verantwortung und Verpflichtung, derartige optimierte Ausbildungsmodelle baldmöglichst obligatorisch einzuführen. Diese könnten nicht nur die Zahl der jährlich über 600 jugendlichen Getöteten allein im Pkw wesentlich herabsetzen, sondern würden auch das von unerfahrenen Fahranfängern ausgehende Gefahrenpotential für die anderen Verkehrsteilnehmer generell verringern. Den jungen Fahrerinnen und Fahrern kann und muss geholfen werden – nicht mit Strafmaßnahmen, sondern mit Maßnahmen der Weiterbildung, der Fortbildung und des Erfahrungsgewinns.

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