Fahrausbildung Behinderter - eine anspruchsvolle Aufgabe

Artikel aus Newsletter Ausgabe 4, Dezember 2008

Tomas CiuraBild: Tomas Ciura

Einige Daten und Fakten vorab: In Deutschland fahren heute ca. 600.000 mobilitätsbehinderte Menschen Auto. 165.000 Menschen erleiden pro Jahr einen Schlaganfall. In deutschen Krankenhäusern werden jährlich 1.000 neue Fälle von Querschnittlähmungen gezählt. Viele der Betroffenen wollen eine Fahrerlaubnis erwerben. Bereits vor dem Eintritt der Behinderung erteilte Fahrerlaubnisse sind erforderlichenfalls zu beschränken oder/und durch Auflagen zu ändern.

Hierfür sind häufig Fahrproben mit amtlich anerkannten Sachverständigen erforderlich. Liegt z.B. eine halbseitige Lähmung vor oder können die Pedale nicht mehr betätigt werden, bedarf es einer gründlichen Einweisung in die Handhabung eines adäquat zur Behinderung umgerüsteten Fahrzeugs. Die Bereitstellung eines geeigneten Fahrzeugs, dessen besondere technische Einrichtungen die Kompensation der Behinderung ermöglichen, ist von essentieller Bedeutung; dabei sind von Anfang an auch der Sachverstand und der Rat des in der Behindertenausbildung erfahrenen Fahrlehrers gefragt.

Vielfältiges Betätigungsfeld 

Neben den die Kraftfahreignung in Frage stellenden Mängeln der Gliedmaßen oder des Bewegungsapparates gibt es eine Reihe weiterer Einschränkungen, welche die Erlangung der Fahrerlaubnis erschweren. In Deutschland leben heute schätzungsweise vier Millionen Analphabeten. Wie kommen Fahrschüler zurecht, die nicht mit Zahlen umgehen können oder an Lese- und Rechtschreibschwäche leiden? „Dyskalkulie (Rechenschwäche, die Red.) und Legasthenie sind die häufigsten Teilleistungsstörungen, fünf Prozent aller Kinder leiden daran“, sagt Prof. Michael Schulte-Markwort vom Universitätsklinikum Hamburg. Hinzu kommt eine große Anzahl von Gehörlosen, die nur in der Gebärdensprache kommunizieren können. Auch viele dieser Menschen haben den Wunsch, eine Fahrerlaubnis zu erwerben. Das Betätigungsfeld für Fahrlehrer/innen im Handicap-Bereich ist weit und vielfältig. Freilich wäre wenig damit getan, nur ein Automatikfahrzeug mit Handbedienung für Gas und Bremse, linkem Gaspedal und Lenkraddrehknopf anzuschaffen. Denn die Fahrausbildung behinderter Menschen stellt besondere Anforderungen an die Fahrschule, die weit über schier technische Hilfen hinausgehen, so wichtig diese im Einzelfall auch sein mögen.

Der Berufsstand stellt sich dem Erfordernis 

Der Berufsstand hat dieses Erfordernis schon vor vielen Jahren erkannt und sich diesem gestellt. Die Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände e.V. hat deshalb den Arbeitskreis „Handicap“ eingerichtet, in dem auf diesem Gebiet versierte Fahrlehrer/innen mitwirken. Zuerst wurde ein Fragebogen entwickelt, der Grundlage für eine erste qualifizierte Datenerhebung über bestehende Behinderten-Fahrschulen in Deutschland war. Die so ermittelten Fahrschulen sind in einer stets aktuell gehaltenen Liste zusammengefasst, die über die Homepage der Bundesvereinigung, www.fahrlehrerverbaende.de, heruntergeladen werden kann (direkter Download der aktuellen Liste im PDF-Format). Zurzeit sind darin 155 Fahrschulen aus allen Teilen Deutschlands verzeichnet.

Darüber hinaus sind in den meisten Fahrlehrer-Landesverbänden Behindertenreferenten tätig, die im regionalen Bereich sowohl für die Behinderten als auch für die Fahrschulen kompetente Ansprechpartner sind. Die Deutsche Fahrlehrer-Akademie e.V. hat 1997 das Buch „Mobilitätsbehinderte und Kraftfahrzeug“ herausgegeben, das umfassend zum Thema informiert und als Standardwerk auf diesem Gebiet gilt. Das Werk ist bis auf wenige Exemplare vergriffen und soll in einer revidierten Fassung 2009 neu aufgelegt werden. Eine erste bundesweite Fortbildung für Behinderten-Ausbilder, Sachverständige und Verwaltungsangestellte der Führerscheinstellen wurde im Jahre 2000 unter Federführung des Hamburger Fahrlehrerverbandes durchgeführt. Das Verkehrsinstitut Bielefeld hat 2006 und 2008 mehrere dreitägige Fortbildungsseminare für Behindertenfahrlehrer angeboten, die allesamt ausgebucht waren.

Welche Voraussetzungen müssen Fahrlehrer/innen bzw. Fahrschulen erfüllen? 

Fahrlehrer/innen, die behinderte Menschen ausbilden wollen, müssen über eine hohe fachliche Qualifikation verfügen. Neben gut fundierter Didaktik sind medizinische und psychologische Grundkenntnisse erforderlich. Die Kenntnis der einschlägigen rechtlichen Terminologie ist ebenso wichtig wie das Wissen um Ressourcen der Hilfe und Unterstützung. Kontakte zu Umbaufirmen, Herstellern, Selbsthilfeorganisationen, Beratungseinrichtungen, Behörden und Prüforganisationen sind unerlässlich. Die Räumlichkeiten der Fahrschule müssen barrierefrei sein, und das Büropersonal sollte fachkundige Beratung bieten können. Erforderlichenfalls muss der/die Fahrlehrer/in in deutscher Gebärdensprache kommunizieren können. Das alles kann natürlich nicht von heute auf morgen aufgebaut und geboten werden. Man muss hineinwachsen. Aufgabe des organisierten Berufsstandes ist es, dafür helfend und unterstützend zur Seite zu stehen.

Das A und O: Qualifizierte Aus- und Fortbildung 

Ohne qualifizierte, zielgerichtete Aus- und Fortbildung ist die notwendige Spezialisierung zum Fahrlehrer für Behinderte ziemlich aussichtslos. Die organisierte Fahrlehrerschaft hat das erkannt und misst der Fahrausbildung Behinderter hohen Stellenwert zu. Es geht darum, diesen Mitmenschen eine verlässliche, qualitätvolle Ausbildung und Betreuung zu bieten.

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Zur Person

Tomas Ciura ist Fahrlehrer in Hamburg und seit mehr als 20 Jahren sehr erfolgreich in der Ausbildung Behinderter tätig. Er ist Behinderten-Beauftragter des Fahrlehrerverbandes Hamburg e.V. und Mitglied im Arbeitskreis „Handicap“ der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände e.V.

 

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