Jochen Klima - Im Fokus: Das neue Punktsystem - Experiment oder gelungene Neuordnung?

Artikel aus Newsletter Ausgabe 17, April 2015

Jochen KlimaBild: Jochen Klima

Am 1. Mai 2014 wurde mit dem neuen Fahreignungsregister (FAER) das Verkehrszentralregister (VZR) und mit dem Fahreignungs-Bewertungssystem das Mehrfachtäter-Punktsystem abgelöst. Für eine umfassende Bilanz ist es noch zu früh, jedoch zeigen sich Tendenzen, die beachtenswert sind.

Ansammlung von Punkten 

Immer häufiger berichten Fahrschulen von Kunden, die von in kurzer Zeit angesammelten Punkten überrascht wurden. Die Verwunderung ist oft weniger auf die tatsächliche Anzahl der Punkte als darauf zurückzuführen, wie rasch man sich der unerbittlichen Zahl 8 schon genähert hat. Das Erstaunen hat seine Ursache auch in den vom Bundesverkehrsministerium vor, bei und nach Einführung des neuen Systems vom Stapel gelassenen PR-Kampagnen. Das Versprechen, künftig werde die Bepunktung unwesentlicher Verkehrsverstöße unterbleiben und überhaupt werde alles viel übersichtlicher und damit für die Kraftfahrer weniger kompliziert, ließ vielen Autofahrern das neue System als eher harmlos erscheinen.

Ermahnung sollte früher kommen

Hier setzt auch die Kritik der Experten an. Im alten Punktsystem erfolgte die schriftliche Unterrichtung und Verwarnung sowie der Hinweis auf eine freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar mit Punkteabbau schon bei 8 Punkten. Damit waren erst 44,44 Prozent der die Entziehung der Fahrerlaubnis auslösenden 18 Punkte erreicht. Nach dem neuen System erfolgt die „Ermahnung“ erst nach Ansammlung von 4 Punkten, also wenn man sich der „Auslinie“ schon um 50 Prozent genähert hat. Eine Unterrichtung bereits bei 3 Punkten würde der Transparenz des Systems und damit den Betroffenen dienen.

Erweiterung des Tilgungsfensters

Das alte System sah nach Ansammlung von 14 bis höchstens 17 Punkten für die Teilnahme an einem verkehrspsychologischen Seminar 2 Punkte Rabatt vor. 6 Punkte des neuen Systems sind verhältnismäßig weniger, als es die 14 des alten waren. Das Tilgungsfenster erscheint deshalb sehr knapp bemessen. Wer mit 6 Punkten einsichtig genug ist, seine Verhaltensmängel unter Anleitung aufarbeiten zu wollen, sollte ebenfalls noch mit dem Erlass von einem Punkt belohnt werden. Diese Änderung erscheint namentlich auch in Anbetracht der neuen Qualität des von Fahrlehrern und Psychologen geleiteten Fahreignungsseminars (FES) als angemessen.

FES in kleinen Schritten

Fahrschulen beobachten neuerdings eine sporadische Nachfrage nach Fahreignungsseminaren. Meistens sind es sog. Einzelmaßnahmen, Gruppen von Teilnehmern kommen eher selten zustande. Belastbare Zahlen über die Anzahl der Teilnehmer liegen noch nicht vor. Um Fahreignungsseminare populärer zu machen, bedarf es gezielter Öffentlichkeitsarbeit, die klar macht, dass der rechtzeitige Besuch eines FES für die Erhaltung der Fahrerlaubnis entscheidend sein kann. Hier ist insbesondere auch die von den Automobilklubs immer so stark hervorgehobene Mitgliederfürsorge gefragt. 

Positives

Die Zusammenarbeit der Seminarleiter aus dem verkehrspädagogischen Bereich (Fahrlehrer) mit den Seminarleitern der verkehrspsychologischen Teilmaßnahmen bezeichnete Dipl.-Psych. Andrea Häußler, Gebietsleiterin der TÜV SÜD Life Service GmbH und Leiterin der Stuttgarter MPU-Prüfstelle von TÜV SÜD, jüngst als äußerst konstruktiv. Ein Lichtblick, der Mut macht, nachdrücklich für notwendige Korrekturen am System einzutreten. 

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Autor

Jochen Klima, 56, ist Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V. und Präsidiumsmitglied der Deutschen Fahrlehrer-Akademie e.V. Nach Abitur und Kfz-Mechanikerlehre folgte er 1981 dem Berufsweg seines Großvaters und seines Vaters und wurde Fahrlehrer. Klima sah sich mehrere Jahre als angestellter Fahrlehrer in Fahrschulbetrieben um, bevor er das 1928 in Freudenstadt gegründete Familienunternehmen von seinem Vater übernahm. Stationen seiner Verbandsarbeit waren seit 1990 u.a. Kreisvorsitzender und stellvertretender Landesvorsitzender. Den Fahrlehrerverband Baden-Württemberg e.V. führt Klima seit 20. April 2013.

 

 Dr. Walter Weißmann: Automatikausbildung auf Pkw

Artikel aus Newsletter Ausgabe 17, April 2015

Bild: Dr. Walter WeißmannDr. Walter Weißmann

Eine hochinteressante Zeit, in der wir leben. Die mit rasanter Digitalisierung einhergehende technische Entwicklung beeinflusst immer mehr Lebensbereiche und befreit uns dankenswerterweise von der lästigen manuellen Erledigung stetig wiederkehrender Aufgaben. Waschbrett und Schrubbbürste gehören längst der Vergangenheit an und den täglichen Abwasch übernimmt der Geschirrspüler. Rollläden schließen zur gewünschten Zeit, Markisen fahren von der Sonne gesteuert aus und ein.

Sensorisch-digitale „Magie“

Im Auto erkennt die Adaptive Cruise Control vorausfahrende Fahrzeuge und regelt selbstständig den Sicherheitsabstand. Das automatische Notbremssystem verhindert Kollisionen bei fehlender Reaktion des Fahrers. Scheibenwischer und Abblendlicht werden auf Wunsch des Fahrers bei Bedarf selbsttätig aktiviert. Und wenn wir wollen, schaltet das Fahrzeug sogar automatisch in den jeweils passenden Gang. Allerdings scheint sich das Schaltgetriebe im Lauf der Jahrzehnte einen festen Platz im kollektiven Bewusstsein der Deutschen als Markenzeichen des sportlich ambitionierten Autofahrers ergattert zu haben. Beigetragen hat dazu wohl auch, dass seit April 1986 die Fahrerlaubnis auf das Führen von Automatikfahrzeugen beschränkt wird, wenn die Prüfung auf einem solchen abgelegt wird. Damit ist seit Jahrzehnten festgeschrieben: Fahren können bedeutet letztlich vor allem schalten können. 

Automatikgetriebe im Vormarsch

Doch immer stärker bahnt sich modernes Fahren auch in Form des automatisierten Schaltens seinen Weg. Den höchsten Anteil an Automatik-Pkw haben die Hersteller von Fahrzeugen der Premiumklasse zu verzeichnen. Mittlerweile liefert Mercedes-Benz mehr als drei Viertel aller Neuwagen mit Automatikgetriebe aus, Porsche sogar mehr als 80 Prozent. Allein von 2012 bis 2014 ist in Deutschland die Zahl der Fahrerinnen und Fahrer von Automatikfahrzeugen laut dem Online-Portal „Statista“ um mehr als 15 Prozent auf über sieben Millionen gewachsen. Mehr und mehr spricht es sich herum, dass „automatisch“ schalten längst nichts mehr mit Unvermögen oder Langeweile zu tun hat, sondern vielmehr Sicherheit, Komfort und Fahrgenuss bedeutet. Automatikfahrzeuge bahnen sich ihren Weg unaufhaltsam. Und dem Elektrofahrzeug soll aus ökologischen Gründen der Boden bereitet werden. Deshalb stellt sich zunehmend die Frage, ob es noch länger gerechtfertigt ist, dass die Getriebeautomatik als einziges Fahrerassistenzsystem in der Fahrerlaubnisprüfung nicht genutzt werden darf.

Leichteres Lernen fördern

Die DFA möchte mit ihrem Projekt „Automatikausbildung auf Pkw“ die Akzeptanz moderner Antriebskonzepte fördern und die Fahranfänger die Vorteile des Fahrens ohne Kupplung erleben lassen. Es ist ohnehin fraglich, ob Fahrschüler just zu Beginn der Ausbildung mit der Abstimmung von Gas und Kupplung gequält und mit Überlegungen zur Wahl des richtigen Ganges vom Verkehrsgeschehen abgelenkt werden müssen. Könnte der Lernprozess nicht viel effektiver gestaltet werden, wenn zunächst ohne die nicht ganz leicht zu bewältigende Zusatzaufgabe „Schalten“ die volle Aufmerksamkeit auf das Erlernen des Fahrens gerichtet wäre? Hierzu existieren noch keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse. Deshalb führt die DFA das Projekt „Automatikausbildung auf Pkw“ durch. Dabei lernen Fahrschüler das Fahren zunächst mit Automatik. Erst wenn die Prüfungsreife erreicht ist, wird das Fahren mit Schaltung geübt. Es soll damit erstmals in einem deutschlandweiten Projekt empirisch ermittelt werden, wie sich mit dieser Methode der Lernprozess verändert und wie viel Zeit für das Erlernen des Schaltens benötigt wird. 

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Autor

Dipl.-Päd. Dr. phil. Walter Weißmann legte nach seinem erziehungswissenschaftlichen Studium in Regensburg und der Fahrlehrerausbildung in München 1976 die Fahrlehrerprüfung ab. Bis 2006 war er Inhaber einer Fahrschule in Eichstätt. Der Abschluss des Studiengangs „Diplom-Pädagogik“ erfolgte 1998 an der Kath. Universität Eichstätt. Seit 2000 ist Dr. Weißmann zusammen mit Prof. Dr. Margret Fell in der pädagogischen Weiterqualifizierung von Fahrlehrerinnen und Fahrlehrern tätig. 2008 wurde Weißmann promoviert (Dissertation: „Der Fahrlehrerberuf als erwachsenenbildnerische Profession“). 1999 wurde er von den Mitgliedern des Landesverbandes Bayerischer Fahrlehrer e.V. zum Bezirksvorsitzenden Oberbayern und 2008 zum 1. Vorsitzenden gewählt. Seit 2014 ist Weißmann Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der DFA.

 

 Jürgen Merz: Alkohol-Interlocks für mehr Verkehrssicherheit

Artikel aus Newsletter Ausgabe 17, April 2015

BJürgen Merzild: Jürgen Merz

Der Einsatz von Alkohol-Interlocks (AII) im Straßenverkehr wird weltweit schon seit vielen Jahren erprobt. In den USA und in Kanada ist der Einsatz von AII bei Menschen, die unter Alkoholeinfluss ein Fahrzeug gesteuert haben, weithin verbreitet. Damit soll die Sicherheit im Straßenverkehr erhöht werden.

USA und Kanada vorn

In Europa sind solche Programme bislang nur vereinzelt im Einsatz, breiten sich aber immer weiter aus. Im Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur (BMVI) wird derzeit erwogen, inwieweit die Verwendung eines solchen Gerätes die bereits erprobten verkehrspsychologischen und -pädagogischen Maßnahmen für alkoholauffällige Kraftfahrer sinnvoll ergänzen könnte. 2013 wurden auf deutschen Straßen bei alkoholbedingten Unfällen 4.843 Menschen schwer verletzt und 314 getötet. 2014 wird nicht wesentlich besser ausgegangen sein. Daher sollten alle Chancen genutzt werden, um diesen Blutzoll weiter zu reduzieren. Im Auftrag des BMVBS hat die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Anfang Juli 2011 ein Forschungsprojekt zu AII gestartet. Die Ergebnisse dieser Studie sind Anfang dieses Jahres veröffentlicht worden. 

Wirkung

Alkohol-Interlock-Geräte werden fest ins Fahrzeug eingebaut. Der Motor eines so ausgestatteten Fahrzeuges lässt sich nur starten, wenn der Fahrer zuvor eine Atemprobe abgibt. Enthält die Atemluft Alkohol, kann das Fahrzeug nicht gestartet werden. Das Gerät lässt sich so programmieren, dass im Verlauf einer Fahrt weitere Atemproben verlangt werden. Eine eingebaute Festplatte kann weitere wichtige Daten speichern, wie zum Beispiel Manipulations- oder Fehlversuche oder geleistete Fahrkilometer mit den entsprechenden Fahrzeiten. 

Für wen?

In Deutschland wird derzeit kontrovers diskutiert, für wen der Einbau eines AII in Betracht kommen könnte. Zurzeit liegt ab 1,1 Promille absolute Fahruntüchtigkeit vor. Studien zeigen, dass ab dieser Grenze das Unfallrisiko sprunghaft ansteigt. Folgen eines erstmaligen Trunkenheitsdelikts sind Strafen, Entziehung der Fahrerlaubnis und Sperre. Die Sperre soll u.a. dem Trunkenheitsfahrer Gelegenheit geben, sich über sein Trinkverhalten Gedanken zu machen und Besserung zu erreichen. Gerade die Bewirkung von Einsicht und Besserung kann durch ein AII-Programm wesentlich unterstützt werden. Denn oft ist die gerichtlich verhängte Sperre kein ausreichender Anlass, den eigenen Umgang mit Alkohol selbstkritisch zu betrachten. Die Promillezahl wird als Bagatelle ausgelegt und das künftige Sicherheitsrisiko meist unterschätzt. Bei solcher Haltung ist die Wahrscheinlichkeit, in Zukunft wieder unter Alkoholeinfluss zu fahren, nicht gering. Einhergehen mit All sollte immer eine verkehrspsychologische Beratung/Schulung. Internationale Studien zeigen, dass die Auseinandersetzung mit dem Alkoholtrinkverhalten und eine grundlegende Veränderung desselben Voraussetzungen dafür sind, in Zukunft von einer verminderten Rückfallgefahr ausgehen zu können. Die Studien zeigen auch, dass ohne Veränderung des Problembewusstseins nach Ausbau des Gerätes das Rückfallrisiko unverändert bleibt und damit kein langfristiger Nutzen des AII erkennbar ist.

All-Programme helfen  

Grundsätzlich hat der weltweit erprobte Einsatz von AII-Programmen bestätigt, dass sie die Verkehrssicherheit erhöhen und Alkoholfahrten ganz unmittelbar verhindern können. Maßgebliche Institutionen und Berufsverbände empfehlen daher, die gesetzlichen Grundlagen für eine Einführung von AII-Programmen für alkoholauffällige Kraftfahrer zu schaffen. In jedem Fall ist aber die Nutzung eines solchen Gerätes mit einer verkehrspsychologischen Interventionsmaßnahme zu kombinieren, um eine nachhaltig positive Wirkung für die Verkehrssicherheit zu erreichen.

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Autor

Dipl.-Psych. Jürgen Merz hat sich während seines Studiums besonders den Gebieten der Bildungsberatung und der Rehabilitation zugewandt. Es folgten Fachausbildungen der Verkehrs- und Sportpsychologie. Ab 1994 leitete er die MPU des TÜV in Stuttgart. Seit 1999 ist Merz Geschäftsführer der TÜV SÜD Pluspunkt GmbH und seit 2014 Ko-Geschäftsführer der TÜV SÜD Akademie GmbH, beide in München.

 

 Prof. Dr.-Ing. Klaus Langwieder: Kargere Abnahme bei Schwerstunfällen - Versuch einer Klärung nach vorläufigen Zahlen

Artikel aus Newsletter Ausgabe 17, April 2015

Von 2000 bis 2010 gab es Jahr für Jahr Rekordmeldungen über den Rückgang der schweren Unfälle im Straßenverkehr. In Deutschland waren es am Ende des Jahrzehnts erfreuliche 45 Prozent. Seitdem aber wurden die positiven Quoten kontinuierlich kleiner: von 3.648 Getöteten in 2010 auf 3.350 in 2014, nur 9,2 Prozent in 5 Jahren.

Welche Einflüsse sind erkennbar, lässt man veränderte Fahrleistungen zunächst außer Betracht? Unfälle mit getöteten Pkw-Insassen nehmen nach wie vor leicht ab; sicher wirken daran verbesserte Sicherheitstechnik, moderne Assistenzsysteme, nicht zuletzt aber auch die Qualität der Fahrausbildung mit. Der Anteil getöteter Jugendlicher im Pkw ging von 2013 auf 2014 um rund 10 Prozent zurück. Ein sehr bemerkenswertes Ergebnis. – Effekt des begleiteten Fahrens mit 17?

Getötete bei Straßenverkehrsunfällen  1990 bis 2014

Getötete bei Straßenverkehrsunfällen 1990 bis 2014 (Quelle: Copyright Statistisches Bundesamt)

Quelle: Copyright Statistisches Bundesamt

Negativtrend bei Zweiradfahrern 

Anders hingegen bei motorisierten Zweiradfahrern und Radfahrern. Hier nahmen die Schwerstunfälle massiv zu. Schon 2013 brachte ein enttäuschendes Ergebnis. 2014 jedoch war jeder dritte im Straßenverkehr Getötete diesen beiden Kategorien zuzuschreiben. In den ersten 6 Monaten von 2014 fanden 37 Prozent mehr Fahrer/Mitfahrer von motorisierten Zweirädern als im gleichen Zeitraum des Vorjahres den Tod. Bei den Radfahrern waren es 32 Prozent mehr. Milde Winter- und Frühjahrsmonate scheinen negativen Einfluss auf das Unfallgeschehen bei Zweiradfahrern zu nehmen. Daher den lebenswichtigen Hinweis an Motorradfahrer, die Frühjahrsausfahrt nach der Winterpause besonnen, mental trainiert und körperlich fit anzutreten; Neueinsteiger sollten sich um ein „Update“ ihrer Fahrfertigkeiten bemühen. Letztlich müssen aber auch die anderen Verkehrsteilnehmer nachhaltig auf die noch immer zunehmende Zahl der Zweiradfahrer eingestimmt werden. Zweiradfahrer und Fußgänger, beide von Natur aus ungeschützt, sind nach den Pkw-Insassen die am stärksten vom Verkehrstod und Schwerverletzung betroffenen Gruppen. 

Woher die dünneren Quoten?

Woran liegt es nun, dass gerade auch im Pkw-Bereich deutlichere Rückgänge der Schwerstunfälle nicht mehr zu erreichen sind? Sind die Systeme der „passiven Sicherheit“ (Verletzungsschutz bei Unfall) ausgereizt? Dringen die modernen Fahrerassistenzsysteme (FAS – Stichwort integrale Sicherheit), einmal abgesehen von ESC, zu langsam voran, namentlich im Markt der sog. Großserien? Das DFA-Projekt „Wirkpotentiale moderner Fahrerassistenzsysteme“ prognostizierte die FAS-Ausstattungsquote der Gesamt-Pkw-Flotte in Deutschland für 2020 nur im Bereich von 5 bis 10 Prozent. Zwar ist heute das teil- und hochautomatisierte Fahren voll in der Diskussion, aber selbst bei Neufahrzeugen lässt die „Take-Rate“ der hochentwickelten Assistenzsysteme noch zu wünschen übrig.  Umso wichtiger ist die Rolle der Fahrschulen als Berater für mehr Sicherheit, nicht nur bei Fahranfängern, sondern auch bei erfahrenen Fahrern. Hierzu sollten neue Tätigkeitsbereiche mit Selbstbewusstsein und Kompetenzvertrauen angesteuert werden.

Unfallforschung neu ausrichten 

Von großer Bedeutung ist es nach Jahren verringerter Aktivitäten auch, durch repräsentative Großuntersuchungen aktueller Realunfälle wieder aufzuzeigen, wie sich die Problempunkte der Verkehrssicherheit verändern oder schon verändert haben. Aus solchen Untersuchungen könnten sich konkrete Maßnahmen mit entsprechenden Wirkerwartungen ergeben. In-depth-Untersuchungen wie GIDAS oder die modernen Field-Observation-Tests (FOT) sind richtungsweisend und unverzichtbar, aber sie müssen kontinuierlich am aktuellen Unfallgeschehen gespiegelt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass wir in gutem Glauben in Präventionskategorien denken, die vor Jahren angemessen waren, nun aber durch die Veränderung der Verkehrsströme und der Verhaltensweisen aktualisiert werden müssen. Durch intelligente Abstandsregler (ACC) oder automatische Notbremssysteme (AEBS) werden, ja müssen sich Veränderungen der Unfallpotentiale ergeben, und es werden sich andere, vielleicht auch neue Unfallstrukturen herausstellen. Kontinuierlich umfassende Unfallforschung und aktuelle Dokumentation der Unfallfaktoren unter Berücksichtigung der modernen sicherheitsfördernden Assistenzsysteme ist mehr denn je nötig, sonst wird das Ziel „Reduzierung der Verkehrstoten um 40 Prozent bis 2020“ unerreichbar bleiben.